Cover
Titel
Roman imperialism and provincial art.


Herausgeber
Scott, Sarah; Webster, Jane
Erschienen
Anzahl Seiten
XVI, 256 S.
Preis
£55.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Sommer, Wolfson College, University of Oxford

Die historischen Wissenschaften sind mit Recht allen Versuchen gegenüber skeptisch geworden, kulturelle und ethnische Identitäten vergangener Gesellschaften allein aus materiellen Befunden heraus rekonstruieren zu wollen. „Pots are pots, not people“, diese schlichte Erkenntnis hat sich spätestens seit Siân Jones’ vielbeachteter Arbeit über die sensiblen Beziehung zwischen Archäologie und Ethnizität 1 allenthalben herumgesprochen. Einschlägige Aussagen suchen wir praktisch nur noch in Texten, die Selbstzeugnisse der Zeitgenossen enthalten. Auch sie wollen mit der gebotenen Vorsicht analysiert sein; aber seit der „literaturwissenschaftlichen Wende“ der Geschichtswissenschaft glauben wir Historiker uns im Besitz der geeigneten Instrumente: Diskursanalyse als Königs-Umweg zur Wahrheit.

Doch lehrt uns die Semiotik, dass auch Bilder letztlich nur Texte gleichsam mit anderen Mitteln sind und als solche gelesen werden wollen. Die Autoren des edel ausgestatteten Bandes, dessen Beiträge ursprünglich mehrheitlich auf einer Sektion der Roman Archaeology Conference in Nottingham (1997) vorgetragen wurden, holen nun als Archäologen zum Gegenschlag gegen den Primat der Philologie aus: Bilder, so der gemeinsame Ansatz, enthalten sehr wohl Botschaften, die, richtig verstanden und gedeutet, Rückschlüsse auf ein kulturelles Zugehörigkeitsgefühl ihrer Hersteller und Auftraggeber, auf ihr 'imaginaire' erlauben. „To move beyond traditional approaches to Roman art“ (S. XIII) ist daher erklärtes Ziel von Herausgebern und Autoren. Ihr Blick richtet sich in erster Linie auf die Peripherie, und von hier aus ergeben sich interessante Ausblicke auch auf das Zentrum.

Ganz neu ist das freilich alles nicht. Das jahrzehntelang akzeptierte Paradigma einer vom Zentrum ausstrahlenden und die Peripherie vollständig erfassenden und sie transformierenden akkulturativen Kraft, gemeinhin 'Romanisierung' genannt, ist jüngst für verschiedene Reichsteile – Britannien,2 Gallien,3 Syrien-Mesopotamien 4 und Nordafrika 5 – auch und gerade von Autoren des Bandes einer grundlegenden Kritik unterzogen worden, meist mit mehr, bisweilen mit weniger Erfolg. Neu ist die Eröffnung einer breiten, vergleichenden Perspektive; wenngleich Britannien in der ganz und gar britischen Studie eindeutig im Vordergrund steht. Neu ist auch der unterschiedlich explizite Zugang über das Theorieangebot trendig daherkommender 'Post-Colonial Studies'. Jane Webster („Art as Resistance and Negotiation“, Kapitel 3) etwa deutet die scheinbare Amalgamierung imperialer und indigener Traditionsstränge an Roms Nordwestperipherie konsequent als 'Kreolisierung': Lokale Eliten spannten von Rom entlehnte Ausdrucksformen vor den Karren eigener Selbstdarstellung, adaptierten sie entsprechend ihren Bedürfnissen und kreierten so ein neues künstlerisches Repertoire. Und nicht nur das: Sie schufen auch eine durch dieses Repertoire visualisierte Sinnwelt, die sich von den beiden Wurzeln (der 'keltischen' und der 'römischen') gelöst hatte und eine 'Kultur' aus eigenem Recht konstituierte.

Im klaren Licht der von Webster in die Debatte eingebrachten analytischen Hilfsmittel schmelzen die noch immer von Manchen gebrauchten Kategorien ('Fremdherrschaft') und Antinomien ('Herrscher' versus 'Beherrschte') dahin wie Schnee in der Sonne. Die 'Kreolisierung' römischer Bildprogramme exemplifiziert mustergültig Shelley Hales in ihrer Studie über antiochenische Mosaiken („The Houses of Antioch: A Study of the Domestic Sphere in the Imperial Near East“, Kapitel 10). Sie zeigt, wie importierte Motive und Darstellungsmodi im Kontext der Metropole des Ostens völlig veränderte Bedeutungen annahmen, obwohl sie äußerlich ihren italischen Vorbildern bis aufs Haar glichen. Nach ähnlichem Muster funktionierten provinziale Synkretismen, wie der gallisch-germanische Kult des Apollo Grannus (Greg Woolf: „Seeing Apollo in Roman Gaul and Germany“, Kapitel 8). Auch hier zeigt sich, wie lokale Eliten etwas Fremdes übernahmen, bis hin zu Details von Ritual und Organisation des Kults, es mit eigenen Bedeutungsinhalten füllten und nach ihren Bedürfnissen umformten.

Wie schwer für uns schließlich zu ermessen ist, ob ikonografische Differenz zwischen Zentrum und Peripherie eine Frage des Wollens oder des Könnens der jeweiligen Produzenten ist, ruft der Beitrag von Catherine Johns („Art, Romanisation, and Competence“, Kapitel 2) ins Gedächtnis. Johns wendet sich mit guten Argumenten gegen zeitgeistkonforme Bemühungen, jegliche Differenz auf dem Konto abweichender ästhetisch-semantischer Normen und mithin bewussten Handelns der Künstler zu verbuchen. Zwischen der Intention bzw. Vision des Künstlers oder seines Auftraggebers und dem tatsächlich Erreichten kann im Zweifel ein tiefer Graben klaffen (S. 14).

Johns’ Stimme löckt wohltuend wider den Stachel oft litaneiartig heruntergebeteter Gemeinplätze. 'Post-Colonial Studies', denen sich implizit oder explizit die meisten Beiträge verpflichtet fühlen, haben leider nur allzu oft den moralinsauren Nachgeschmack politischer Überkorrektheit. Wir alle stehen auf der sicheren Seite derer, die den imperialistischen Impetus ihrer Väter und Vorväter längst überwunden haben – oder doch überwunden zu haben meinen. Die notorische Sympathie für die ewigen Underdogs, und seien es die peripheren Gesellschaften eines lange vergangenen Reiches, ist schon deshalb allzu billig. Obwohl das post-koloniale Theorieangebot durchaus, wenn mit der gebotenen Vorsicht gebraucht, nützliche Kategorien (wie die der 'Kreolisierung') bereithält, fragt sich, ob es nicht Modelle gibt, die der angestrebten Rationalisierung der Debatte insgesamt dienlicher sind. Eine Fülle solcher Denkfiguren, diese Bemerkung sei abschließend gestattet, hält ausgerechnet die im angelsächsischen Raum nicht gerade mit überschäumender Begeisterung rezipierte deutschsprachige Geschichtswissenschaft bereit.6

Anmerkungen:
1 Jones, S., The Archaeology of Ethnicity. Contesting Identities in the Past and Present, London 1997.
2 Millett, M., The Romanization of Britain, Cambridge 1990.
3 Woolf, G., Becoming Roman. The Origins of Provincial Civilization in Gaul, Cambridge 1998; Ders., The Roman Cultural Revolution in Gaul, in: Keay, S.; Terrnato, N. (Hgg.), Italy and the West. Comparative Issues in Romanization, Oxford 2001, S. 172-186.
4 Ball, W., Rome in the East. The Transformation of an Empire, London 2001; Butcher, K., Roman Syria and the Near East, London 2003.
5 Mattingly, D. J., Tripolitania, London 1995; Ders., From One Colonialism to Another. Imperialism and the Maghreb, in: Webster, J.; Cooper, N. (Hgg.), Roman Imperialism. Post-Colonial Perspectives, Leicester 1996, S. 49-69.
6 Osterhammel, J., Jenseits der Orthodoxie. Imperium, Raum, Herrschaft und Kultur als Dimensionen von Imperialismustheorie, Periplus. Jahrbuch für außereuropäische Geschichte 5 (1995), S. 119-131; Ders., Imperialgeschichte, in: Cornelissen, Ch. (Hg.), Geschichtswissenschaften. Eine Einführung, Frankfurt am Main 2000, S. 221-232; Ders., Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, Göttingen 2001.

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